Mittwoch, 8. Juni 2011

Ich weiß ja nicht, ob's jemandem schon aufgefallen ist, Teil I

Ich weiß ja nicht, ob’s schon jemandem aufgefallen ist, aber Freiberufler sind in unserem System echt angepisst. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht mit dem Offensichtlichen. Ein Freiberufler hat, im Gegensatz zu einem angestellten Menschen, der die gleiche Arbeit macht, keinen bezahlten Urlaub. Er hat auch keine bezahlten Krankheitstage, und keinen Arbeitgeberanteil bei Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. Wenn ein Freiberufler seinen Job verliert, pardon, ich meine wenn er mit seiner Existenzgründung scheitert, dann kriegt er in der Regel kein Arbeitslosengeld (obwohl es jetzt eine freiwillige Arbeitslosenversicherung auch für Existenzgründer gibt, aber die beim Arbeitsamt sagen immer, dass die jederzeit wieder gestrichen werden kann und die Beiträge dann futsch sind). 
 

Aber nicht nur der fehlende Arbeitgeber und seine damit nicht vorhandenen Leistungen sind ein Problem für den Freiberufler. Nein, der Staat lässt ihn auch „aktiv“ im Stich. Angenommen, da wäre ein Freiberufler, der früher mal ein angestellter Mensch war, so etwas soll’s ja geben, und angenommen, dieser angestellte Mensch hat brav den Mahnungen gelauscht, früh aktiv was für die Aufstockung seiner Rente zu tun, kurz: er hatte eine Riesterrente. Tja, Pech, lieber Freiberufler. Riesterförderung ist nur was für’s Proletariat, und nix für diese kohlescheffelnden Selbständigen. Das Riesterkonto kann man zwar auflösen, muss aber in diesem Fall die bis dato erhaltene Förderung zurückzahlen. Und die gesetzliche Rentenversicherung? Die ist für den Freiberufler ja keine Pflicht, aber jeder vernünftige Mensch… wie, 19,9% Prozent des Einkommens sind für Sie derzeit nicht bezahlbar? Also bitteschön, Sie als Selbständiger haben jetzt ein Paar von diesen „breiten Schultern“, die mehr tragen sollten als schmale, Sie wissen schon, die Sache, von der die Politiker immer reden, und die doch gut und richtig klingt.


Der Freiberufler muss, wie schon gesagt, ganz allein für seine Kranken- und Pflegeversicherung aufkommen, und dabei muss er denselben Prozentsatz seines Einkommens als Beitrag einzahlen wie ein Angestellter. Mit einem kleinen Unterschied. Falls er weniger als durchschnittlich EUR 1.916,25 pro Monat verdient, wird auf jeden Fall trotzdem so getan, als würde er dieses monatliche Einkommen erreichen, und auf dieser Basis der Beitrag errechnet. Das Zauberwort heißt Mindestbeitragsbemessungsgrenze. Selbstverständlich wird bei einem höheren Einkommen jeder zusätzliche Cent berücksichtigt (bis hin zur maximalen Grenze von EUR 3.712,50).


Dagegen hat vor einigen Jahren ein Freiberufler geklagt. Er wollte vom Landessozialgericht Bremen prüfen lassen, ob so eine Abzocke überhaupt mit der Verfassung vereinbar ist. Das Gericht hat am 22. Mai 2001 entschieden, dass das so in Ordnung ist. Hier ein kleines Schmankerl aus der Begründung: „Zudem ist es legitim, das ‚Unternehmerrisiko‘ des hauptberuflich Selbständigen nicht über die Beitragsbemessung partiell auf die Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten abzuwälzen.“ Hat man Worte? Hiermit wird eigentlich gesagt, dass einer, der mit seiner freiberuflichen Tätigkeit unter EUR 1.916,25 monatlich verdient, als Selbständiger versagt hat, wobei das aber durch sein willentlich und wissentlich akzeptiertes „Unternehmerrisiko“ begründet ist. Also selbst schuld.


Da muss man sich doch fragen: woraus speist sich eigentlich das stetig wachsende Heer aus Freiberuflern? Das sind doch sicher alles solche jung-dynamischen, risikofreudigen Startup-Typen, solche mit breiten Schultern und ganz vielen innovativen Flausen im Hirn, stimmt’s? Nein, Schluss mit dem Quatsch. Jeder weiß doch, dass es der Trend bei großen Konzerne und Firmen zum ach-so-hippen Outsourcing ist, das den Menschen vom Angestelltendasein zum Arbeitsamt und vom Arbeitsamt mehr oder weniger freiwillig in die Gründerexistenz führt. Wo man dann mit ein bisschen Glück wieder für den alten Arbeitgeber rackern darf, nur ohne Sicherheit und ohne Kündigungsschutz und den ganzen Schnickschnack. Das Outsourcing ist so eine schicke Sache, die hat sich mittlerweile sogar schon bei den öffentlichen Rundfunkanstalten wie MDR und BR durchgesetzt. Jawohl, die haben fast alle festen Mitarbeiter entlassen und arbeiten jetzt fast ausschließlich mit in der Branche „feste Freie“ genannten Individuen, außerhalb der Branche auch als Scheinselbständige bekannt. Wenn ein TV-Format nicht läuft, stößt man die schnell ab und holt sie sich wieder, wenn man sie braucht. Und weil es so viele feste Freie gibt, kann man sie auch preislich ordentlich unter Druck setzen. So geht das. Moderne Sklaverei powered by GEZ.


Warum der Gesetzgeber das anscheinend so will, kann man sich eigentlich nur so erklären: Weil es in der Statistik gut aussieht, wenn es keine Arbeitslosen, sondern nur haufenweise Existenzgründer gibt, die so gerade mal eben mit etwas Glück ihren Lebensunterhalt bestreiten können, und die vielleicht irgendwann mal ein Problem darstellen, wenn sie alt werden und keine Rente angespart haben, aber dann ist ja längst eine andere Regierung dran, und jemand anders wird sich finden, der schuld ist.

1 Kommentar:

  1. Die Scheinselbständigkeit wurde ja auch vor einiger Zeit stillschweigend "abgeschafft", um es den armen Unternehmen nicht so schwer zu machen, die moderne Sklaverei anzuwenden.

    Und noch ein Punkt: Elterngeld. Das wurde für Angestellte erfunden. Klar gibt es das auch für Selbständige. Aber die Berechnungsgrundlage ist ein einziger Witz und total ungerecht, jeder Cent, der im Bezugszeitraum eingeht, wird angerechnet, selbst wenn man nachweislich nicht gearbeitet hat, sondern das Geld aus Arbeit vor der Elternzeit stammt. Und mal ehrlich, welcher Freiberufler oder Selbständige kann es sich leisten, 12 Monate lang seine Kunden nicht zu "bedienen"? Eben.

    Wie verträgt sich eigentlich das Urteil über die KK-Beiträge mit der Tatsache, dass viele (v.a. Frauen) in Teilzeit selbständig arbeiten? Und muss eine Angestellte, die 20 Stunden die Woche arbeitet, auch genauso viel zahlen wie eine, die den gleichen Job 40 Stunden die Woche ausübt?

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