Sonntag, 14. Juli 2013

Fette Abhandlung

NACHTRAG: Dies ist einer der letzten Blogeinträge zum Thema Ernährung und Gesundheit auf dieser Adresse. Alle vergangenen und zukünftigen Einträge zu diesem Thema gibt es künftig auf http://www.urgesundheit.de/. Dieser Blog widmet sich künftig Themen außerhalb von Ernährung.

Meine Bloggerfreundin Mia hat mich kürzlich mit ihrer Bitte geehrt, für ihr tolles Low-Carb-und-auch-ziemlich-Paleo-Blog La Vida Lo Ca einen Gastbeitrag über ungesättigte Fettsäuren zu schreiben. Dem bin ich natürlich nur zu gerne nachgekommen, habe dabei aber gemerkt, dass ich schnell vom Hundertsten ins Tausendste komme. Daher habe ich irgendwann den Rotstift angesetzt und wieder Passagen rausgenommen, die über das Thema "ungesättigte Fettsäuren" hinausgingen. Aber trennen wollte ich mich doch nicht von ihnen, und so kommt hier eine kleine Abhandlung über gesättigte UND ungesättigte Fettsäuren.

Der Nährstoff Fett hat, um es vorauszuschicken, zu Unrecht sein Fett abbekommen, und dies schon mehrere Jahrzehnte lang. Kein anderer Makronährstoff wird so konsequent mit Verachtung gestraft, sei es von Seiten der Mediziner, Ernährungswissenschaftler, Sportler oder Abnehmwilligen. Eine Ausnahme wird gelegentlich bei bestimmten pflanzlichen Ölen gemacht; man denke an die vielbeachtete Empfehlung, sich „mediterran“ zu ernähren und dabei auch nicht am Olivenöl zu sparen. Da war doch was mit essentiellen Fettsäuren und „guten pflanzlichen Fetten“, die ungleich gesünder sind als das Wabbelschwabbel am Schinkenrand, das schon nach Cholesterin und Herzinfarkt riecht und schmeckt?

Tierische Fette - ihhhhhhh! Oder doch nicht?


Magerwahn

Die Besessenheit von möglichst magerem Fleisch hat schon längst so groteske Züge angenommen wie die Züchtung von Puten, die nicht mehr das Gleichgewicht halten können, weil ihnen eine solch überdimensionierte Brust angezüchtet wurde. Dies allein sollte einem schon zu denken geben, aber man hat sich in der Ernährungsindustrie ja schon an so vieles gewöhnt.

Vielleicht liegt es daran, dass es so bestrickend einfach klingt: Fett macht fett. Oder es liegt an der Lipid-Theorie von Ancel Keyes, der mit dieser in den 1950er Jahren Furore machte und die Bewertung dieses Nährstoffs für die Folgejahrzehnte nachhaltig beeinflusste, ungeachtet der Tatsache, dass er sich schließlich sogar von seiner eigenen Theorie distanzierte. Die Lipid-Theorie beruhte auf einer Studie, die den Konsum gesättigter (also großteils tierischer) Fette in vielen Ländern untersuchte und diese in Relation zu der Häufigkeit von Herzerkrankungen setzte. Die Theorie sagte Folgendes aus: Der Konsum von gesättigten Fettsäuren lässt das Cholesterin ansteigen, und hohes Cholesterin führt tendenziell zu Herzerkrankungen. Beide Schlussfolgerungen sind aus heutiger Sicht unhaltbar, ganz davon abgesehen, dass Keyes aus dubiosen Gründen nur Daten aus denjenigen Ländern auswertete, die in die Theorie passten, und damit ungefähr die Hälfte der erhobenen Daten letztlich ignorierte.

Jedes Gramm Fett enthält 9 Kilokalorien, während Protein und Kohlenhydrate nur mit jeweils 4 Kilokalorien pro Gramm aufwarten können. Damit hat Fett eine mehr als doppelt so große Energiedichte wie Protein und Eiweiß. Das klingt in unserer Diätgesellschaft vielleicht nicht unbedingt nach einem großen Pluspunkt für das Fett, aber wenn wir mal von unseren Steinzeitvorfahren ausgehen, die noch nicht im Kalorienüberfluss lebten und wo effiziente Nahrungsbeschaffung noch eine Frage des Überlebens war, wird vielleicht deutlich, dass Fett naturgemäß einen zentralen Stellenwert in unserer ursprünglichen Ernährung einnimmt.


Fett - der lebenswichtige Nährstoff

Gerade während der Entwicklung des Fötus und des Kindes sind es die gesättigten Fette, deren Bedeutung man nicht genug betonen kann. Wie der Zahnarzt Weston A. Price Anfang des 20.Jahrhunderts während seiner vergleichenden Studien von Eingeborenenstämmen und modernen Menschen beobachtete, führt eine fettarme Ernährung der schwangeren Frau vermehrt zu verkleinerten Kiefern und damit lebenslangen Zahnfehlstellungen des Kindes. Auch für die Entwicklung des Nervensystems, u.a. des Gehirns, ist eine gute Versorgung mit gesättigten Fettsäuren in der fötalen und frühkindlichen Entwicklung unerlässlich. Gesättigte Fettsäuren sorgen für Stabilität in allen Körperzellen (Zellmembranen bestehen zu 50% aus gesättigten Fettsäuren) und spielen eine wichtige Rolle beim Knochenaufbau; des Weiteren geben sie dem Körper unerlässliche Hilfestellung bei der Verwertung essentieller Fettsäuren.

Butter ist lecker und, wenn man nicht extrem empfindlich auf
Milchprodukte reagiert, gesund. Margarine? Fragt nicht!

Werden keine oder sehr wenige Kohlenhydrate gegessen, aber reichlich gesättigte Fettsäuren konsumiert, so wird das Gehirn niemals an einem Glucosemangel leiden, da die Leber in der Lage ist, aus Fett und Protein seine eigene Glucose herzustellen.

Gesättigte Fettsäuren führen also nicht nur nicht zu Arterienverkalkung und Herzinfarkt, sondern sind unerlässlich für das Gedeihen des menschlichen Körpers. Chemisch gesehen sind gesättigte Fettsäuren aufgebaut wie ein perfekter, symmetrischer Reißverschluss, denn jede Kohlenstoffverbindung in der Kette ist mit einem Wasserstoffatom „versorgt“.

Wie sieht es aber nun mit den pflanzlichen Ölen aus, von denen man so viel Gutes oder zumindest weniger Schlechtes hört?

Die beliebtesten und billigsten pflanzlichen Öle wie z.B. Sonnenblumenöl und Distelöl enthalten viele mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Per definitionem sind ungesättigte Fettsäuren (PUFA = polyunsaturated fatty acids) immer weniger stabil als gesättigte Fettsäuren, da ihren Kohlenstoffverbindungen an einer (einfach ungesättigt) oder mehreren (mehrfach ungesättigt) Stellen ein Wasserstoffatom fehlt, weswegen sie an diesen Stellen doppelte Kohlenstoffverbindungen aufweisen. Instabil bedeutet bei Fettsäuren, dass sie auf Kontakt mit Sauerstoff sowie Wärme und Licht mit Oxidation reagieren, was nichts anderes aussagt, als dass sie schnell ranzig werden. Viele von diesen Ölen sind schon beim Kauf ranzig, z.B. weil bei der Extraktion Hitze entsteht oder sie zu lange gelagert wurden. Ranzigkeit ist nicht allein ein Problem des Geschmacks, sie stellt ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko dar. Oxidierte Fettsäuren begünstigen entzündliche Prozesse und sogar die Entstehung von Krebs im menschlichen Körper. Selbst wenn ein solches PUFA-Öl beim Konsum noch nicht ranzig ist, so ist davon auszugehen, dass spätestens im Körper einige dieser instabilen Fettsäuren oxidieren und über das LDL-Cholesterin in alle Körperregionen gelangen, wo sie für Entzündungen sorgen. PUFAs können aufgrund ihrer Instabilität (ihrer „offenen“ Kohlenstoffverbindungen) darüber hinaus im Körper willkürliche und damit schädliche Verbindungen mit Zuckern und Proteinen eingehen, die toxische Nebenprodukte bilden.

Die meisten Pflanzenöle sollte man gar nicht erhitzen,
jedenfalls wenn in ihnen die PUFAs überwiegen.

Wird ein solches Öl über den (recht niedrigen) Rauchpunkt hinaus erhitzt, so kommt noch ein weiterer Prozess hinzu, der chemisch genau das Gegenteil von Oxidation ist, aber nicht minder schädlich: Hydrierung, auch bekannt als Bildung von Transfettsäuren. Der menschliche Körper weiß nicht, was er mit diesen degenerierten Fettbestandteilen anfangen soll und baut sie deswegen nach dem Zufallsprinzip in Gewebe ein, wo sie unberechenbare Kettenreaktionen auslösen, die ebenfalls zu schwerwiegenden, systemischen Entzündungen oder gar Krebs führen können.


Die Guten, die Schlechten und die Schlechtgewordenen

Oliven-, Macadamianuss- und Avocadoöl unterscheiden sich von den meisten anderen Pflanzenölen dadurch, dass sie mehr einfach ungesättigte Fettsäure (auch Omega-9- oder Ölsäure genannt) enthalten und dementsprechend auch höher erhitzt werden dürfen. Insgesamt ist bei diesen drei Ölen das Risiko, oxidierte Fettsäuren oder gar Transfettsäuren zu sich zu nehmen, deutlich reduziert.

Zu den mehrfach ungesättigten Fettsäuren gehören auch die Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren. Hier tritt ein weiteres Problem der pflanzlichen Öle zutage: Nämlich, dass beinahe alle ein ausgesprochen ungünstiges Omega-3-Omega-6-Verhältnis haben. Omega 3 und Omega 6 sind so genannte essentielle Fettsäuren, da der Körper sie nicht selbst bilden kann. Letzteres allein ist allerdings noch kein Hinweis darauf, dass wir sie überhaupt brauchen; und selbst wenn dies bejaht wird, weiß keiner so recht, wie viel davon gebraucht wird (von den Lebensgewohnheiten indigener Völker ausgehend ist es vermutlich nicht sehr viel). Omega-6-Fettsäure in Form von Linolsäure ist unbestritten entzündungsfördernd, wenn ihr Gegenspieler Omega 3 fehlt. Ein Verhältnis von 1:1 beim Konsum von Omega 3 und Omega 6 ist idealerweise anzustreben; und bei unseren Vorfahren entsprach dieses Verhältnis wohl auch ungefähr der Realität. Unsere heutige Realität sieht so aus, dass beispielsweise ein Durchschnittsamerikaner an einem Durchschnittstag ungefähr 20mal so viel Omega 6 wie Omega 3 zu sich nimmt.

Omega 3 gibt es zunächst in der Form von Alpha-Linolensäure. Diese befindet sich in pflanzlichen Ölen bzw. deren Rohstoffen wie Nüssen und Samen. Alpha-Linolensäure (ALA) ist für den Menschen nur begrenzt nützlich, da der menschliche Körper sie erst in EPA (Eicosapentaensäure) und DHA (Docosahexaensäure) umwandeln muss. In diesen beiden letzteren Formen ist Omega 3 bereits im Fett von Fischen, von Krill, in Hühnereidottern und z.B. im Fett des Fleisches und der Milchprodukte vom Weiderind vorhanden. Die Umwandlung von ALA in zunächst EPA und dann DHA im menschlichen Körper gelingt umso schlechter, je mehr Linolsäure (die wichtigste Art von Omega 6) vorhanden ist, da diese mit ALA (dem „pflanzlichen“ Omega 3) um das Enzym Delta-6-Desaturase konkurriert, das für die Umwandlung von ALA in EPA verantwortlich ist.


Gutes Omega-6?

Um es noch ein wenig zu verkomplizieren, enthalten z.B. Borretschöl, Nachtkerzenöl und Hanföl eine Omega-6-Fettsäure, die anscheinend, anders als man es von Omega-6 erwarten würde, entzündungshemmende Eigenschaften hat. Diese Omega-6-Fettsäure heißt Gamma-Linolensäure. Zwar wird auch die entzündungsfördernde Omega-6-Fettsäure namens Linolsäure (s.o.) im Körper in Gamma-Linolensäure umgewandelt; wenn letztere aber mit der Nahrung aufgenommen wird, ist sie anscheinend unschädlich. Dies liegt daran, dass sie eben schon umgewandelt ist und daher das Enzym Delta-6-Desaturase nicht benötigt, es also der ALA-Omega-3-Fettsäure bei ihrer Umwandlung in entzündungshemmendes EPA nicht streitig macht. Die Öle mit einem hohen Anteil von Gamma-Linolensäure haben aber für die Ernährung keine große Bedeutung und kommen eher in der alternativen Medizin zum Einsatz.


Omega-3: ein Sensibelchen

Die wenigen pflanzlichen Öle, die einen höheren Omega-3- als Omega-6-Anteil aufweisen, sind Untersuchungen zufolge sogar noch instabiler als die übrigen, oxidieren also noch schneller und vertragen noch weniger oder gar keine Hitze. Daher sind beispielsweise Leinöl und Rapsöl gänzlich ungeeignet zum Kochen oder Braten, geschweige denn Frittieren. Man sollte sie auch nur in kleinen Flaschen kaufen, die man schnell aufbraucht, und diese im Kühlschrank aufbewahren. Ähnliches gilt wahrscheinlich auch für ganze oder gemahlene Lein- oder Chiasamen, deren Nutzen in Gebäck aufgrund ihres Fettsäureprofils entsprechend fraglich ist.

Allerdings möchte ich noch darauf hinweisen, dass auch das Omega 3 tierischer Herkunft (EPA und DHA) empfindlich ist und oxidieren kann. Daher ist es beispielsweise ratsam, Fisch nicht zu stark zu erhitzen; eine Zubereitung im Backofen bei maximal 150 Grad Celsius ist aus meiner Sicht empfehlenswert.

Halten wir fest: Tierische Fette sind viel besser als ihr Ruf, egal ob es um gesättigte oder ungesättigte Fettsäuren geht. Sie sind tatsächlich sogar sehr wertvoll. Von den pflanzlichen Ölen sind eigentlich nur die empfehlenswert, die mehr Ölsäure als ungesättigte Fettsäuren enthalten.


CLA - fast schon Medizin

Und als ob tierische Fette nicht schon großartig genug wären, enthalten diejenigen, die von artgerecht gehaltenen und vor allem gefütterten Wiederkäuern stammen, noch eine ganz besondere Substanz namens konjugierte Linolsäure (CLA). Diese Fettsäure besitzt so vielversprechende immunmodulierende Eigenschaften, dass schon über eine Verwendung als Medikament zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen nachgedacht wurde.

Gute Fette, jedenfalls wenn man sie ordentlich behandelt.

Fazit

Kochen und braten sollte man also z.B. in Schweine-, Gänse- oder Entenschmalz, Rindertalg oder Butterschmalz (Ghee). Ein weiteres sehr gut für diese Zwecke geeignetes Fett ist das Kokosfett. Unter den pflanzlichen Ölen bilden tropische Öle wie Kokosfett und rotes Palmöl gewissermaßen eine Ausnahme, weil in ihnen die gesättigten Fettsäuren bei weitem überwiegen. Einen Hinweis darauf liefert ihre Konsistenz: ebenso wie beispielsweise Schmalz sind sie bei gewöhnlicher Zimmertemperatur fest bzw. cremig. Daher gibt es z.B. Kokosfett (auch Kokosöl genannt) nicht in Flaschen, sondern in Gläsern. Palmöl ist aus ökologischen Gründen bedenklich, da für seinen Anbau Raubbau an der Natur betrieben wird. Kokosfett gibt es in desodorierter und duftender bzw. nativer Form. Desodoriertes Kokosfett ist sehr günstig in den Kühlregalen der meisten Supermärkte erhältlich, z.B. von der Marke Othüna, als in Alupapier verpackte Würfel. Duftendes Kokosfett dagegen findet man eher in Onlineshops (z.B. Dr. Goerg) oder in Bioläden (z.B. die Marke Rapunzel, bei der „Kokosfett“ das desodorierte und „Kokosöl“ das duftende Produkt bezeichnet).

Natives Kokosfett bietet eine Reihe weiterer gesundheitlicher Vorteile; unter anderem enthält es Stoffe, die als entzündungshemmend gelten, und ist bei äußerer wie innerlicher Anwendung antimikrobiell.


Quellen

Bei Durchsicht der folgenden Quellen entgeht dem aufmerksamen Leser nicht, dass ich ein gewisses Faible für Mark Sisson habe, was seine Erklärungen rund um Fett und Cholesterin angeht. Ich bin aber auch ein großer Fan von Mary Enig, die mit der Weston A. Price Foundation zusammenarbeitet und bereits vor Transfettsäuren warnte, als man diese noch für ein Hirngespinst hielt – heute sind die Gefahren der Transfettsäuren gut dokumentiert und werden nicht mehr bestritten.



4 Kommentare:

  1. Liebe Heidi,
    deine ausführliche Ausführung mit deinen ebenso ausführlichen verständlichen Erklärungen haben mir wahnsinnig geholfen, jemanden zum Nachdenken bzw. Umdenken zu bewegen... danke dir
    LG Veronika

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  2. vielen dank für den beitrag :-)

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    1. Hallo Dö Ris, ich danke dir für deinen Kommentar. Ich bin übrigens mit meinem Blog umgezogen. Hier ist der Fett-Artikel
      http://www.urgesundheit.de/2013/07/fette-abhandlung/

      Und die neuen Inhalte sind hier:
      http://www.urgesundheit.de/

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